Sommerlektüre
Hier möchte ich Euch Bücher empfehlen, die mich sehr bewegten. Beginnen wir mit einem Roman von Thomas Mann, dessen 150. Geburtstag wir am 6. Juni feierten. Zu seiner Biografie muss ich nicht viel sagen, ansonsten empfehle ich die ZDF Sendung Aspekte zum Thema, die ich Euch hier auch verlinke:
https://www.zdf.de/play/reportagen/aspekte-106/thomas-mann-wandlung-geburtstag-rettung-100
„Der Zauberberg“ ist einer der berühmtesten Werke Thomas Manns und mein Liebling von ihm. Worum geht es?
Nun, ich empfehle, das Werk als Initiationsroman zu lesen. Einweihung oder Initiation ist etwas, das selbstverständlich im Leben jedes Menschen stattfindet, nämlich der Übergang von einer Phase in eine andere.
Der Moment des Übergangs kann hierbei durch Festlichkeiten besonderen Ausdruck verliehen werden, was uns hilft, die Übergänge des Lebens genauer nachzuempfinden und bewusst zu gestalten und anzunehmen.
Eine ganz wesentliche Initiation ist die Jugendweihe, und eine solche erlebt unser Protagonist Hans Castorp, als er einen Freund in einem Sanatorium in Davos besucht. Derartige Initiationen, die man z.B. noch bei indigenen Völkern oder in magischen Gemeinschaften kennt, laufen nach dem stets gleichen Muster ab.
Der Held wird zuerst aus seiner Gemeinschaft und der bisherigen Umgebung und Rolle, die er für sie spielte, herausgelöst und in eine isolierte Umgebung gesteckt, ein Kraftplatz in der Natur, ein Tempel oder eben hier das Sanatorium. Man ist des gewöhnlichen Alltags entledigt.
Bei Castorp ist auffällig, wie wenig Eigeninitiative er zu Beginn hat und wie sehr er sich von den Umständen bestimmen lässt. Alles geschieht und fügt sich, und er fügt sich drein. So ist es kein Wunder, dass am Ende aus dem geplanten dreitägigen Aufenthalt schließlich 7 Jahre werden, eine magische Zeit.
So lange dauert bei uns die Hochgrad-Arbeit, in welcher man sich durch verschiedene Schichten transpersonaler Kräfte wühlt, die uns zum Heil oder Unheil gereichen, Tugenden und Laster. In Castorps Fall wird er im Sanatorium mit dessen Bewohner*innen konfrontiert, die jede*r eine andere Philosophie und Weltsicht archetypisch vertreten.
Durch die Konfrontation mit sich selbst, neuen und alten Bewusstseinsprägungen, seiner Rolle in der Gemeinschaft, Charakterveredelung und Beziehungserleben, bei klassischen Initiationen zu archetypischen Kräften der Ahnen, Tiere und Götter, bei Castorp archetypischen Verkörperungen der Philosophien und Denkschulen seiner Zeit, reift der Mensch und wird verwandelt.
Diese Reife und Verwandlung ist Sinn und Zweck eines solchen Ritus. Nach seinem Abschluss gilt es, sich neu in die Gesellschaft zu integrieren. So kehrt Castorp, geläutert und gefestigt, seinen Weg am Ende ein Lied singend in die nicht selten grausame Alltagsrealität zurück.
Der Roman macht uns bekannt mit grundlegenden Formen westlichen philosophischen Denkens und lädt uns zum mitsinnen ein, zur Erhebung des eigenen Geistes, zur Stählung des Bewusstseins, um nicht mehr nur Getriebene äußerer Mächte zu sein, sondern dem eigenen, inneren Antrieb gerecht zu werden, um ein Leben in Selbstbestimmung und Sinnerfüllung zu führen, gleichgültig der Umstände, in die wir uns gestellt sehen.
Insofern hat „Der Zauberberg“ uns Heutigen immer noch viel mitzugeben. Viel Freude beim Lesen.